Eleven Tabletennis VR für erfahrene Tischtennisspieler – Einführung und Tipps

Mit Eleven Tabletennis VR wird erstmals eine Rückschlagsportart so simuliert, dass sie ihrem Vorbild nahe kommt. Mit einer aktuellen kabellosen VR Brille (450€ MetaQuest, 430€ Pico 4) kommt die Halle innerhalb von Sekunden ins Wohnzimmer. Und mit ihr tausende Spieler unterschiedlichster Leistungsklassen. Lohnt sich das für erfahrene Vereinssportler?

sportlich: die körperliche Belastung ist tendenziell höher als in der Halle – das Einsammeln des Balls entfällt, Satzpausen werden sehr kurz gehalten, der „Flow“ des Spiels ist deutlich schneller.

Schlagtechnik: Noppen und Anti werden (noch) nicht simuliert, griffige Beläge werden gut abgebildet. Allerdings wird die Ballflugbahn in „Eleven“ etwas stärker vom Spin beeinflusst als in der Realität – Topspins ziehen sich auf den Tisch, Unterschnittbälle fliegen „ewig“. Wer viel virtuell spielt, bekommt daher nach der Rückkehr in die Halle ein Timingproblem – beim Gegenziehen wird mit der Kante – lange Unterschnittbälle werden gar nicht getroffen. Aber keine Sorge, die Adaption gelingt immer besser, je öfter man zwischen den Welten wechselt. Wer jedoch nah an seiner persönlichen Leistungsgrenze spielen möchte, der muss sich für eine der Varianten entscheiden.

Gegner: für Gelegenheitsspieler finden sich praktisch immer adäquate Spielpartner. Wer länger und engagiert dabei ist, findet adäquate Gegner zu den stärkeren Spielzeiten, verabredet sich oder nimmt an Turnieren teil. Über den ELO-Wert lässt sich die Stärke der Gegner oft einschätzen.

Wettkämpfe: im virtuellen Tischtennis lässt sich für jedes Spiel entscheiden, ob es „ranked“ gezählt wird – das Ergebnis also in den persönlichen ELO 😊 virtueller QTTR) einfließt, oder „unranked“ einfach ein Trainingsmatch ist. Neben den offiziellen Turnieren des Herstellers sind zahlreiche weitere Wettbewerbe entstanden, wo man in Ligen oder auch KO-Systemen gegeneinander antreten kann. Dabei wird stets der ELO-Wert im Auge gehalten, der auch die Weltrangliste sortiert. Einstiegswert sind 1500, TT-Veteranen fällt es selten schwer die 2500 zu erreichen, ab da wird es etwas zäher. Die Weltspitze (Stand 4. Quartal 2022) setzt sich z.B. zusammen aus einem starken ehemaligen Landesligaspieler, Vertretern mittlerer Ligen aus Frankreich und England sowie einem Ex-Profispieler aus Griechenland.

Mannschaftswettkämpfe spielen eine eher untergeordnete Rolle, hier ist aktuell nur die „Euro-League“ aufzuführen – ein Turniersystem der selbstorganisierten Nationalmannschaften.

Hervorzuheben ist für wettkampforientierte Sportler, dass beliebig viele Spiele „ranked“ absolviert werden können. Die 20 Einzel einer Mannschaftshalbserie kann man virtuell locker in einer Woche spielen.

Im Verein ist Sport am schönsten!

Die verbindliche Geselligkeit des Sportvereins, das Bierchen nach dem Spiel, das Gespräch auf der Bank, in der Umkleide, gemeinsame Fahrten zum Punktspiel – viel davon entfällt im virtuellen Tischtennis. Aber auch virtuell wird „gemenschelt“: beim Spielen kann man miteinander reden (muss aber nicht), wer möchte trifft sich nach dem Spiel noch beim Chat im Discord. Und ja, die Community trifft sich auch ein paar Mal im Jahr reell.

Virtuell bin ich frei!

Selbstbestimmt Sport treiben, wann ich will, so intensiv wie ich mag, so locker wie ich will, ohne Anfahrten – das sind die Vorteile des virtuellen Tischtennis. Die Jagd nach ELO-Punkten, Verbesserung in der Weltrangliste, aber auch das Zusammentreffen mit Spielern aus aller Welt entwickeln einen eigenen Charme. An einem Abend gegen Spieler aus der Nachbarschaft, aber auch gegen Spieler aus ganz Europa zu spielen ist ein besonderes Erlebnis. Es wird viel Englisch gesprochen, manchmal aber auch pantomimisch und wer gar nicht reden mag, der lässt das Mikrophon eben aus.

Tischtennistrolle?

Menschen, die sich am Tisch nicht benehmen können, gibt es überall. Magere Frustrationstoleranz oder das Ausleben der dunklen Seite der Seele – im gefühlt anonymen Internet etwas häufiger als in der Sporthalle um die Ecke. Mit steigendem Elo wird das aber immer seltener und wenn man mit einem Gegner überhaupt nicht wieder spielen möchte, dann bekommt der nen Klick auf „Bann“ und man wird nie wieder mit ihm „gepaart“.

Was brauche ich?

• Eine Fläche von mindestens 3m in der Breite und 2,5m in der Länge, darf auch gerne mehr sein.

• Eine kabellose VR-Brille (aktuell zu empfehlen: Meta Quest 2, ca. 450€) mit der Software (20€).

• Einen Adapter für den Controller, so dass er sich halten lässt wie ein Tischtennisschläger (20-40€).

• Sportkleidung und Handtuch.

• Schuhe passend zum Untergrund: Parkett und Laminat sind nicht gedämpft, geeignete Schuhe finden sich in der Squashabteilung.

• Flinkes Internet – ein guter Ping ist dabei wichtiger als hohe Bandbreite.

Wie werde ich gut?

Mit konventioneller Tischtennistechnik gelingt der Einstieg in das VR-Tischtennis schnell. Allerdings muss die Schlagtechnik an die Möglichkeiten der VR-Systeme angepasst werden. Die Erfassung der Schlaghand erfolgt über Kameras am Headset. Ist der Schläger außerhalb der Kameras, wird die Erfassung sehr ungenau. Für die Vorhand bedeutet dies, den Kopf leicht zum Ball zu drehen und nicht zu weit auszuholen. Die Flugbahn wird stärker durch Spin beeinflusst als in der echten Realität – also immer noch ein wenig Topspin mitgeben, Schläger tendenziell weiter schließen als „in echt“.

Wichtig ist auch ein guter Adapter. Gewichtsverteilung und „Tracking“ sind die Hauptkriterien. Mit den Schlagworten „11a“, „Wasyl“ und „Solidslime“ finden sich im Internet gute Modelle, inzwischen „outdated“ sind AMVR und Sanlaki. Letzterer war lange Zeit Standard, ist auch bei Decathlon zu bekommen, glänzt allerdings durch hohe Kopflastigkeit.

Die Bewegungserfassung der Controller verschluckt die letzten 3 Hundertstel vor dem Treffen des Balls. Muss sein, damit Bild und Ton zusammenpassen. Führt leider dazu, dass komplizierte Aufschläge nah am Körper (z.B. reverse Pendulum) eine hohe Streuquote bekommen. Auch der Tomahawk Aufschlag funktioniert nicht gut. Spitzenspieler im VR-TT machen vergleichsweise einfache Aufschläge ohne schnelle Richtungswechsel des Schlagblatts. Spinvariation werden über den Balltreffpunkt bei gleichmäßiger Rundbewegung des Schlägers erzeugt.

Verbessert VR-TT mein Tischtennisspiel?

Kurzfristig verschlechtert es das reale Tischtennis. Aber in VR ist man nicht an Hallenzeiten gebunden, kann – wenn man denn möchte – viel häufiger spielen. Spielweisen und Gegner schnell lesen, sich taktisch schnell einzustellen und häufig in Entscheidungssituation zu stehen wird trainiert. Durch die vielen Spiele bekommt man auch ein gutes Gefühl dafür, riskante Spielweisen dosiert einzusetzen. Ausdauer und Muskulatur werden gestärkt, viele VR-TT Spieler (vor allem Wiedereinsteiger) erleben Gewichtsverlust. Wer nach langer VR-Zeit wieder in die Halle kommt, dem fällt des Spiel körperlich leicht, nur das Bälleaufheben erzeugt Muskelkater. Schwierig ist aber immer die Umstellung der unterschiedlichen Ballflugkurven.

Welche Werte muss ich eingeben, damit ich meine Kombination aus Holz und Belägen perfekt in VR wiederfinde?

Der digitale Schläger wird definiert über Griffigkeit, Geschwindigkeit und Absprungverhalten. Damit lassen sich nur mehr oder weniger griffige glatte Beläge darstellen. Um sich einem Offensivschläger zu nähern kann man mit einen Wurfcoeffizienten von 1,12 bis 1,15 starten, Spin und Tempo bei 81-85 und dann vorsichtig die Werte variieren. Die Parameter reichen allerdings nicht aus, um das komplexe Zusammenspiel von Holz, Schwamm und Belag perfekt abzubilden. Das Entwicklerteam ist emsig dabei, die Simulation zu verbessern.

Ist das ein Spiel oder ist es Sport?

„Eleven“ ist genauso aufgestellt wie Tischtennis – für die Einen ein kleiner Spaß im Freibad, für die Anderen ein Wettkampfsport mit allem Drumherum. Der französische Tischtennisverband hat VR-TT als vollwertige Tischtennisvariante anerkannt, der DTTB verhält sich bisher zögerlich. Das IOC veranstaltet im Rahmen der olympischen Spiel inzwischen auch die „virtual olympic series“ es bestehen sehr gute Aussichten, dass virtuelles Tischtennis 2024 in Paris mit im Programmheft steht.

Was zeigt die Glaskugel?

Im Vergleich zu anderen virtuellen Sportarten (Radfahren, Rudern, Auto-Rennsport, Squash) wird Tischtennis herausragend gut simuliert. Die Chancen stehen gut, dass sich Tischtennis als virtuelle Sportart etabliert. Die Attribute des selbstbestimmten Sports (Zeit, Ort, Leistungswunsch) passen gut in den Zeitgeist. VR- und AR-Brillen (augmented reality) werden aktuell von vielen Herstellern entwickelt, neben Meta als aktueller Platzhirsch melden auch Apple und Samsung den Aufbau entsprechender Produktlinien an. Mit dem Wachstum der virtuellen Realität wird Tischtennis möglicherweise sexy werden.

Ist VR-Tischtennis eine Gefahr für den „echten Sport“?

Virtuelles Tischtennis ergänzt das aktuelle Sportangebot. Es ist interessant für Neueinsteiger, aber auch für erfahrene Tischtennisspieler, die die Zwänge des Vereinslebens nicht mit der eigenen Lebensorganisation abstimmen können. In den seltensten Fällen werden Vereinsspieler dauerhaft dem regulären Spielbetrieb entzogen. Viel häufiger ist der Fall, dass virtuelle Spieler sich dem Vereinssport zuwenden: sowohl Einsteiger als auch Rückkehrer aus einer Sportpause. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft besteht durchaus die Chance, dass Tischtennis als Ganzes deutlich populärer werden wird.

Wird „Eleven Tabletennis VR“ dauerhaft das Programm der Wahl sein?

Kann gut sein, muss aber nicht. Aktuell ist es eine von 3 Tischtennissimulation in der virtuellen Welt und mit großem Abstand die, die den Sport am besten abbildet. Ursprünglich als 1-Mann-Projekt begonnen, hat Chefentwickler Roman Rekhler inzwischen ein Team am Start. In 2022 wurde die Software von Grund auf neu entwickelt, so dass sie sich zukünftig besser erweitern und an neue VR-Produkte anpassen lässt. Die Chancen stehen gut, dass der Entwicklungsvorsprung sich längere Zeit halten lässt, zumal Romans Leitbild die perfekte Simulation ist – um die breite Masse anzusprechen wäre es einfacher, mehr spielerische Elemente einzubauen. Darauf legt er keinen Wert.

Interessant könnte es werden, wenn ein großer Spielehersteller sich des Themas annimmt und mit hohem Aufwand ein Konkurrenzprodukt entwickelt. Die Zukunft wird es zeigen.

[Text von: Lüder Hoppe – https://www.buero-hoppe.de]

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